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Allein unter Leuten - hältst Du es mit Dir aus?

In Berlin Leben heißt zu jeder Tages- und Nachtzeit alles tun zu können. Es gibt nichts, was es nicht gibt, die Stadt ist immer bereit für Dich. Trotzdem hasten wir von einer Verabredung zur nächsten, sind abhängig von unserer Außenwirkung, zu gefangen, um auch mal was allein zu unternehmen. Und wenn niemand Zeit hat, bleiben wir eben zu Hause. Denn dort wartet immer ein Device, mit dem es sich so anfühlt, als sei man nicht allein. 



Lucy ist ständig von Menschen umgeben, eigentlich ist sie nie allein. In der Gruppe bekommt sie Impulse, richtig in die Tiefe geht sie nur mit sich selbst. Lucy kann sich nicht erinnern, wann sie das letzte mal Zeit mit der wichtigsten Person in ihrem Leben verbracht hat: mit Lucy. Sie denkt dabei nicht an ME-time, Yoga, Couch, Massage oder zu Hause am Handy, nicht an Netflix, Putzen oder Online Shopping. Lucy möchte Zeit mit sich verbringen, und zwar draußen, unter Menschen und das aktiv.


Von Tag zu Tag schleppen wir alte Gedanken mit, haben immer wieder die gleichen Ideen, die gleichen Antworten. Wir reagieren, wie wir schon immer reagiert haben, erzählen die gleichen Geschichten und bewegen uns nur selten über unsere fest verankerten Glaubenssätze hinaus. Wir verweigern neue Inputs, arbeiten mit dem, was wir kennen, der gedankliche Output kann sich nicht ändern. Zur starr ist der Blick ins Bekannte. Der Nährboden unserer geistigen Comfort Zone ist unsere soziale Comfort Zone. Hier aber werden die Impulse verteilt.


Sitzen wir mit Freunden im Restaurant, fallen uns die Gäste um uns herum meist gar nicht auf. Während der Beobachter es noch schafft, ein paar Eindrücke aufzusaugen, sitzt der Rest blind und geschlossen in seiner sozialen Traube. Die Welt darum ist bunt und vielfältig, aber wir merken nichts davon und wollen es auch nicht. Wir schauen auf Menschen, die wir kennen oder auf solche, die diesen ähnlich sind. Zum Lästern und zum Flirten drehen wir uns kurz um, ansonsten kein Interesse.


Wir konsumieren die Bilder, Videos, Influencer, die uns gefallen, die unsere kalkulierte Neugier wecken und dann stimulieren, sich uns zeigen, mit möglichst vielen Überschneidungen zu unserem eigenen Leben. Virtuell machen und denken sie noch viel mehr das gleiche als wir, in komprimierter Form, an anderen Orten, in anderen Outfits. Wir bewegen uns in der Welt, die wir kennen oder in der, die wir gerne hätten, die wir für uns als angemessen betrachten. Es geht ein bisschen hoch, ein bisschen runter, aber nie nach rechts und links. Wir schauen da nicht hin, wir wollen da nicht hin. Es geht nicht raus aus der Blase, wir wünschen uns Verbesserung, fürchten Verschlechterung.


Indem wir unsere Gruppen nicht verlassen, blockieren wir unseren Horizont. Wir schließen nicht nur Menschen aus, die gerade “nicht zu uns passen”, sondern auch die, von denen wir annehmen, dass sie es nicht tun. Zum einen ist es gesellschaftlich schwierig, wenn man grundsätzlich keine Lust auf seinen Nächsten hat. Meinungsvielfalt entsteht so aber auch nicht, weshalb wir über die Stränge schlagen (“der ist aber laut”) oft als Polarisieren fehldeuten. Niemand polarisiert, denn Deine Blase ist im Gesamtbild immer Deiner Meinung, schön homogen gehalten, mal streitet man sich über Details.


Etwas mit sich selbst unternehmen, die eigenen Grenzen brechen. Genau das scheint für Millennials abwegig und komisch. Wir fragen uns, was die Leute wohl von uns denken, was passiert, wenn wir jemanden treffen und überhaupt was der Sinn eines Restaurantbesuchs ohne den Aspekt des Miteinanderzeitverbringens sei. Aber genau diese Momente können so inspirierend sein. Allein im Café, ohne Handy, ohne Zeitung. Ins Kino gehen, die Zuschauer und deren Reaktionen beobachten. Sich abends zur Primetime ins Restaurant setzen, die Scham ablegen und darauf achten, was man fühlt. 


Man dringt durch Sphären der eigenen Gedankenwelt, die sonst eher unbeachtet bleiben. Das regt zum Denken an, zum Reflektieren. Wir trainieren unsere Beobachtungsgabe und unser Selbstbewusstsein und machen uns unabhängig in einer Welt, in der Abhängigkeit so gefürchtet ist. Wir haben die Chance, unser Umfeld bewusst wahrzunehmen, zu merken, wie anders und doch ähnlich sich die Menschen sind. Auch unsere Nächsten haben spannende Geschichten zu erzählen, wir müssen sie nur wahrnehmen, beobachten. Wir können in fremde Welten eintauchen. Dann ist egal, ob Illusion oder Realität, unsere Intuition weist uns den Weg. Machen wir uns erst mal frei, können wir uns entscheiden, ob wir uns berieseln lassen möchten oder den Kontakt suchen. 


Lucy sitzt in ihrem Lieblingsrestaurant in Berlin Mitte. Sie hat Arbeit und Entertainment zu Hause gelassen, das Handy bleibt in der Tasche. Sie konzentriert sich auf sich und ihr Umfeld. Früher hätte sie sich Fragen gestellt, wie “was denken denn die Leute von mir?” Und natürlich “was ist, wenn ich jemanden treffe?” Das soll sich jetzt ändern. Lucy möchte ihre Scheu ablegen, sich frei machen. Frei von dem, was andere von ihr denken, frei von der digitalen Abhängigkeit. Sie möchte ihre Energie nicht ins Scrollen stecken, Lebenszeit mit sich und nicht mit einem Device verbringen. Sie möchte sich nicht dafür schämen, allein im Café zu sitzen, ins Kino zu gehen oder in eine Bar, ohne Verabredung und ohne Handy. Sie beschließt, sich selbst zu heilen, das zu tun, was Millennials so fürchten: einfach mal alleine sein. 


to be continued

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