Der Neujahrsvorsatz ist ein Boomerang und am Nachsatz klebt Versagen. Lucy möchte sich lieber jeden Tag daran erinnern, dass das Leben schön ist, jeden Morgen entscheiden, was ihr heute guttut und was nicht. Den Dingen, die sie aufregen, aktiv aus dem Weg gehen, um dem, was sie empfangen möchte, Raum zu geben. Ihr Lieblingstool ist die Vogelperspektive, in die sie immer öfter aufsteigt und emotionsneutral verweilt, bis der Sturm vorüber ist. Es ist der Safe Space des spirituellen Großstadtmillennials, die Zen-Taste im Gedankenkarussell, eine Schwimmweste für die Nerven. Sie erstickt den inneren Wutbürger im Keim.
Doch nicht jeder fühlt sich in der Zen-Zone zu Hause. Passiv aggressiv und reizbar, kurze Zündschnur, hauchdünner Geduldsfaden, das ist der Deutsche im Winter. Noch schlimmer ist nur der Deutsche, wenn er Deutschland verlässt: Der Deutsche im Urlaub.
Am 1.1. um 17.30 Uhr beschimpft eine schlecht gelaunte Berlinerin das Eurowings Bodenpersonal, weil sie am Gate nach Mallorca ihr Handgepäck aufgeben muss. Sie hat sich extra früh angestellt. Jetzt ist sie aufgebracht, nervös, aggressiv, fast hilflos vor Wut, wenn nicht hasserfüllt. Stressflecken säumen ihren Hals. Die Tochter steht beschämt daneben und weiß, dass jeder weiß, dass sie zusammengehören.
Dahinter, ein älterer Herr, der sich nicht wie einer benimmt, sondern lamentiert und schließlich schreit. Auch er möchte seinen Koffer nicht abgeben. Dann wird eine dritte, jüngere Passagierin zur Seite gebeten, die beiden vor Wut Schäumenden identifizieren sie als Komplizin, doch die bleibt cool.
Wer über Wutbürger schimpft ist auch Wutbürger, trotzdem beobachtet Lucy den Disput nicht ohne Gehässigkeit. Denn wer sich schon am 1.1. derart aufregt, dem bleibt eigentlich nur die Hoffnung auf 2024.
Der alte Deutsche ist reisekrank, jede unvorhergesehene Planänderung (der zweiwöchige Urlaub wird um 20 Minuten Wartezeit am Gepäckband reduziert) ist Stress. Erst wenn er sein Glas Wein und eine Portion Schinkenkroketten vor sich hat (“wenn du deine Pommes nicht aufgegessen hast, bekommst du auch kein Eis"), das Hotelzimmer leise, aber nicht zu weit von der Lobby entfernt ist und der bei Check24 gebuchte Mietwagen ordentlich gesaugt, ohne Kratzer, dafür aber mit 20% Rabatt auf die Vollkasko übergeben wurde, setzen die kurzen Phasen der Erholung ein.
Der kleine Koffer, ein Sinnbild für den großen, den wir durchs Leben schleppen. Probleme sind ja subjektiv und trotzdem wäre der große Koffer für alle etwas leichter, würde man sich über einen kleinen nicht so aufregen.
Comments